GRAD
Kuttenberger Handschriften des 15. und 16. Jahrhunderts

Das Graduale des Tschechischen Silber-Museums

Dieses Gesangbuch wird im Tschechischen Silber-Museum in Kuttenberg aufbewahrt. In musikalischer Hinsicht handelt es sich um die bedeutendste Kuttenberger Handschrift der Spätgotik.

Diese Quelle enthält keinerlei Hinweis auf den Auftraggeber, den Schreiber oder das Entstehungsdatum. Aus der Analyse von Inhalt, Ausschmückung und Filigranen (speziellen Wasserzeichen auf dem Papier) kann man auf eine Datierung der Entstehungszeit etwa um das Jahr 1500 schließen. Einige der Kompositionen sind möglicherweise etwas später nachträglich aufgezeichnet worden.



Aus musikalischer Sicht ist dieses Graduale von den hier angeführten gotischen Quellen am interessantesten, da es eine reiche Auswahl an mehrstimmigen Kompositionen enthält. Außer dem traditionellen Choralrepertoire für das Kirchenjahr enthält es eine Reihe einstimmiger und zweistimmiger Strophenlieder, sowohl in Latein als auch in Tschechisch. Es beinhaltet auch mittelalterliche Mehrtext-Motetten. Das Repertoire ähnelt dem anderer tschechischer Graduale vom Anfang des 16. Jahrhunderts (Franusův, Kodex Speciálník, Chrudimský apod.), hinsichtlich seines Aufbaus und der Vertretung der einzelnen Lieder unterscheidet es sich jedoch erheblich von diesen. Es ist erstaunlich, dass dieses Graduale bisher der Aufmerksamkeit der Forscher entgangen ist.


Sanctus (3 Stimmen), Blatt 44b
Das Graduale ist nicht allzu reich ausgeschmückt, der Buchschmuck beschränkt sich auf mehrfarbige Initialen und Versalien, die vom Schreiber selbst ausgeführt wurden. Illuminationen sind hier nicht enthalten. Auf den Blatträndern befinden sich Anmerkungen in barocker Handschrift, was von der Benutzung des Buches während der folgenden Jahrhunderte zeugt [24]. Bei einigen Kompositionen ist die Melodie in den vorbereiteten Notenlinien nicht fertig eingetragen, sodass wir einen Eindruck von der damaligen arbeitsteiligen Vorgehensweise bei der Anfertigung eines Graduales bekommen.


Beispiel einer unvollendeten Notierung
Der Inhalt entspricht dem Repertoire einer utraquistischen Literarischen Bruderschaft. Einer der Beweise ist z.B. die Überschrift auf Blatt 15b "Magistri Johannis Hus glorifi~", der sich auf der nächsten Seite fortsetzen sollte, die jedoch herausgerissen wurde. (Zensureingriff aus der Zeit der Gegenreformation.)

Choralteil:
Der Inhalt des Choralteils stimmt mit dem anderer Graduale jener Zeit überein. Neben einstimmigen Gesängen finden wir hier 5 zwei- und dreistimmige Ausführungen des Sanctus (/Benedictus) in Choral- und Mensuralnotation.

Strophenlieder:

Das Lied Znamenaj křesťan věrný
Das Graduale enthält eine Reihe ein-, zwei- und dreistimmiger Lieder, zu denen viele Strophen aufgeschrieben wurden. Etliche dieser Lieder waren in der damaligen Zeit sehr verbreitet, viele von ihnen kennen wir heute noch (z.B. Dietky mladé i staré, In hoc anni circulo, Danielis prophetia, Surrexit Cristus hodie, Dies est letitie). Einige waren aus anderen Quellen nicht bekannt (Přišel čas utěšený).

Im Graduale befindet sich die wahrscheinlich älteste überlieferte vollständige Aufzeichnung des Liedes Narodil se Kristus Pán [15] , hier auch mit dem lateinischen Text En virgo parit filium. Die Komposition ist (im Unterschied zu späteren Fassungen) teilweise im Dreierrhythmus notiert.




Das Lied En virgo parit filium /
Narodil se Kristus Pán


Die Lieder wurden zwar um die Wende des 15. und 16. Jahrhunderts aufgezeichnet, aber in den meisten Fällen handelt es sich um erheblich ältere Kompositionen. Bei einigen kann man den Ursprung bis ins 14. Jahrhundert oder noch weiter zurückverfolgen (Buoh všemohúcí, Svatý Václave, In hoc anni circulo, Paranymphus adiit ...) [9] [22]. Andererseits ist an der Bearbeitung einiger Lieder bereits der Einfluss der beginnenden Renaissance zu spüren. Die häufigere Verwendung von Terzintervallen und der Zusammenklang der Stimmen in vollen Quintakkorden und an manchen Stellen auch die Verwendung der Imitationstechnik (z.B. in dem Lied Jesus Christus Nostra salus) sind Vorzeichen einer anbrechenden neuen Musikepoche.

Motetten:

Moteto O pie Ihesu vivens - Vita pietas - Ave caro Christi
Mittelalterliche Motetten sind eine spezifische Musikform, deren Geschichte bis in die Zeit der Ars Antiqua (12. Jh.) zurück reicht. Die ursprüngliche Choralmelodie in der unteren Stimme (Tentor) wurde um weitere Stimmen ergänzt, die sich in verschiedenen Rhythmen über dieser Grundmelodie entfalteten. Jede Stimme war mit einem anderen Text versehen, der in einer bestimmten Beziehung zum ursprünglichen Text stand (Kommentar, Gegensatz u. ä.). In ähnlicher Weise sind die Motetten komponiert, die wir im Repertoire der Literarischen Bruderschaften bis zum 16. Jahrhundert finden. Diese gingen jedoch meistens nicht von einem Choral aus, sondern in ihnen wurden eigene Texte und Melodien verarbeitet.

Im Graduale finden wir mehre dieser 2- bis 4-stimmigen Kompositionen. Alle Motetten sind in ähnlicher Fassung auch aus anderen tschechischen Quellen der damaligen Zeit bekannt [10] (bis auf die Motette O pie Ihesu vivens - Vita pietas - Ave caro Christi, welche hier im Gegensatz zu der bekannten zweistimmigen Fassung in 3 Stimmen aufgezeichnet ist [8]). Hier kommen auch verschiedene Textabweichungen vor.

Autor einiger Komposition (z.B. Panis evus-Pange exul-Panis ecce-Tantum ergo) ist der polnische Tonkünstler Petrus Wilhelmi de Crudenz [15].

Beispiele für Kompositionen:
In dem nachstehenden Verzeichnis befinden sich einige Kompositionen im MIDI-Format (Bild ) oder WMA-Format (Bild ).

FolioSkladbaHlasůPoznámka
45aSanctus 3
46b-47aSanctus 2
181b-182aCedit hiems eminus 4
189aEn virgo parit filium / Narodil se Kristus Pán 1
189b-190aIn natali domini 2
195bNobis est natus hodie 2
201bPřišel čas utěšený 2
207b-208aZnamenaj křesťan věrný 3
209b-210aIn hoc anni circulo 2
236bResurgenti nazareno 2
275b-276aMundo deus nunc illustra 2 contrafacta 141b...
292bFelici pectatrici 3 contrafacta 290b,297a,299a,303a
304b-305aZacheus arboris 2
312b-313aParanymphus adiit 2
313b-314aCongaudemus pariter - En lux inmensa 2
315bOctaviano imperatore - Clamet cantet2
316a Terra tremuit - Christus iam surrexit - Angelus domini - Surrexit Christus dominus 4
316b-317aCedit yemps eminus 4 also fol. 181b
317b-318aEx linguis multiphariis 3
318b-319a Veni sancte spiritus - Da gaudiorum - Veni sancte 3
319aJesus Christus Nostra salus 3270b
320b-321aCaro mea - O vere digna - Dominus noster 3
321b-322aO pie Ihesu vivens - Vita pietas - Ave caro Christi 3 Codex Specialis - only 2 voices
also Buď Bohu sláva, čest (1st voice)
399aTento den zvláštní 2 Czech version Hec dies quam fecit 65a
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